Zivilcourage im Netz

Jugendliche gegen Online Hass

19. Jänner 2023 von Theresa Dirtl
Seit rund sechs Jahren forscht ein Team rund um Christiane Atzmüller und Ulrike Zartler vom Institut für Soziologie der Uni Wien zu Online-Zivilcourage von Jugendlichen. Im aktuellen Projekt "Young People Against Online Hate" untersuchen sie computergestützte Strategien zur Förderung von Counter Speech, also der Gegenrede.
Couragiert reagieren auf Hass im Netz: Ein aktuelles Projekt an der Uni Wien, das im Rahmen des Forschungsschwerpunkts "Online Zivilcourage von Jugendlichen" läuft, liefert Tools, um jugendliche Counterspeaker*innen automatisiert zu unterstützen. © unsplash

Rudolphina: Frau Zartler, Frau Atzmüller, Ihr Forschungsschwerpunkt möchte Jugendliche im Umgang mit Cyber Mobbing, Hate Speech und anderen Formen von digitaler Gewalt verstehen und unterstützen. Können Sie eingangs kurz die Hintergründe dazu erläutern?

Ulrike Zartler: Der Forschungsschwerpunkt umfasst mittlerweile ein ganzes Bündel an Projekten. Die Grundlinie dabei ist immer, dass Jugendliche online mit unglaublich vielen wirklich belastenden Dingen konfrontiert sind. Aber die Jugendlichen sind als Gruppe an sich gut darin, sich dagegen zu stellen und zivilcouragiert zu handeln.

Wir beobachten das große Problem der online-Bystander: eine riesige Gruppe von Personen, die einfach zuschauen, obwohl sie Online-Gewalt wahrnehmen. Wir wissen, dass Interventionen von Jugendlichen hier sinnvoll und zielführend sein können, gleichzeitig passiert das aber doch noch zu selten. So lautet unsere Ausgangsfrage: Wie können wir Jugendliche dazu motivieren und sie dabei unterstützen, online Zivilcourage zu zeigen? Dabei kann, darf und soll diese Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm bleiben. Wir arbeiten immer mit Praxispartner*innen zusammen und natürlich mit den Jugendlichen selbst.

Christiane Atzmüller: Anfangs haben wir gemeinsam mit den Jugendlichen erst einmal erfasst, mit welchen Situationen sie konfrontiert sind. Das umfasst eine enorme Bandbreite, wie z.B. Erlebnisse, die man unter Hate Speech subsumieren würde. Insgesamt sind die Übergriffe sehr vielfältig und oft einfach grauslich.

Im aktuellen Projekt, das wir in Kooperation mit der FH St. Pölten durchführen, ist die Idee, Jugendliche, die potentiell als Counterspeaker*innen auftreten könnten, automatisiert zu unterstützen. Ein Beispiel dazu wäre ein Trigger-System, das Hate Speech auffindet und automatisiert Hilfestellung gibt, wie man in solch einem Fall Reaktion bzw. Zivilcourage zeigen kann.

Uns ist es wichtig, dieses System gemeinsam mit den Jugendlichen auf Augenhöhe zu entwickeln. Wir suchen Themen, die unter Jugendlichen viel diskutiert werden, wie z.B. sexuelle Identität oder auch tagesaktuelle Skandale von Influencer*innen, und wo Kontroversen wahrscheinlich sind: Wir identifizieren Hate- und Counter Speech, analysieren sie und lernen daraus. Das heißt, wir entwickeln einen Machine Learning- Trainingsdatensatz für Counter Speech.

Viele Jugendliche haben dieses Selbstverständnis, dass sie meinen, negative Inhalte gehören einfach zur Internetnutzung dazu und wer das nicht aushält, darf halt das Internet nicht nutzen.
Christiane Atzmüller

Ulrike Zartler: Dieser partizipative Aspekt ist ganz wichtig für uns, d.h. unsere Herangehensweise ist nicht, dass wir Jugendliche bitten, einen Fragebogen auszufüllen. Wir sind nah an ihrer Realität und simulieren reale Situationen, z.B. mit Rollenspielen.

Dabei sehen wir ganz massive Bildungsunterschiede: Jugendlichen mit einem höheren Bildungsniveau fällt es mit ihrem Sprachverständnis wesentlich leichter, sich zivilcouragiert zu verhalten und nicht reine Gegenattacken zu liefern, sowohl um die eigene Person zu verteidigenals auch um sich für andere einzusetzen.

Christiane Atzmüller: Wie man Zivilcourage im Internet gestalten kann, ist das zentrale Thema, das wir mit den Jugendlichen zusammen entwickeln möchten. Es ist eine ganz eigene Sprache, ein ganz eigener Stil, und daher muss es direkt von den Jugendlichen kommen. Und sie müssen es letztlich umsetzen können.

Viele Jugendliche haben dieses Selbstverständnis, dass sie meinen, negative Inhalte gehören einfach zur Internetnutzung dazu und wer das nicht aushält, darf halt das Internet nicht nutzen. Jugendliche sind in digitalen Medien mit einer unglaublich große Bandbreite an abwertenden Ausdrücken konfrontiert und verwenden diese auch oft im normalen Sprachgebrauch. Vieles wird auch in Abkürzungen geschrieben, wie z.B. hdf (Halt die Fresse) oder hk (hurenkind).

Hier sind auch unsere Praxispartner*innen dazu aufgerufen, in den Schulen und Einrichtungen mit den Jugendlichen bewusst Counter Speech zu trainieren. Dazu haben wir auch entsprechende Schulungsunterlagen entwickelt.

Lesen Sie auch
Demokratie und Digitalisierung
Hat die Digitalisierung das Versprechen gebrochen, alles Wissen zugänglich und die Welt dadurch demokratischer zu machen? Bildungswissenschafter Fares Kayali erklärt, dass vielen komplexen Fragen nicht durch mehr Information, sondern durch das Anerkennen von Komplexität begegnet werden muss: "Und das ist es, was Bildung ausmacht".
Unsere Forschung macht auch etwas mit dem Wissenschaftsverständnis der Jugendlichen. Sie bekommen dadurch hoffentlich den Eindruck, dass man mit Wissenschaft und Forschung etwas bewirken kann.
Ulrike Zartler

Rudolphina: Ihr Forschungsschwerpunkt passt gut zu unserer aktuellen Semesterfrage "Was macht Digitalisierung mit der Demokratie?". Wo sehen Sie aus Ihrer fachlichen Expertise heraus Berührungspunkte?

Ulrike Zartler: Zwei Aspekte möchte ich dazu ansprechen. Der eine ist Solidarität, ein zentraler Begriff, wenn es um demokratische Werte für Jugendliche geht. Das gemeinsame Auftreten gegen Online-Hass hätte enormes Potential, aber diese Erfahrung fehlt sehr vielen Jugendlichen. Sie sind oft auf die Täter*innen fokussiert und kommen gar nicht auf die Idee, sich zusammenzuschließen, um dem Opfer zu helfen.

Ein zweiter Aspekt, der in unserer Forschung deutlich wird, ist, dass der Begriff der Demokratie oft ganz missbräuchlich von den Jugendlichen verwendet wird: "Alle dürfen sagen, was sie wollen, und deshalb kann ich gar nicht zivilcouragiert dagegen auftreten, weil in einer Demokratie eh alles erlaubt ist." Das ist ein sehr flaches Demokratieverständnis – hier wäre eine Wertedebatte mit den Jugendlichen gut, um auch humanistisches Gedankengut zu transportieren.

Christiane Atzmüller: Wir bemerken leider auch wenig Vorbildwirkung seitens der Erwachsenen. Der virtuelle Raum sollte klarer als demokratisches Umfeld gesehen werden, der mit Werten besetzt ist. Diesen Werte müssen im Zuge der digitalen Grundbildung besprochen und vermittelt werden, und die Online-Zivilcourage gehört hier ganz klar dazu.

Ulrike Zartler: Es ist wichtig zu betonen, dass die Forschung, die wir betreiben, zu den methodisch innovativen Forschungen gehört; sie ist sehr lösungsorientiert und nah dran am Alltagserleben der Jugendlichen. Wir nehmen die Jugendlichen ernst und haben ein echtes Interesse daran, wie sie die Welt wahrnehmen.

Unsere Forschung macht auch etwas mit dem Wissenschaftsverständnis der Jugendlichen. Sie bekommen dadurch hoffentlich den Eindruck, dass man mit Wissenschaft und Forschung etwas bewirken kann.

Rudolphina: Vielen Dank für das Interview!

Young People Against Online Hate

Im WWTF-Projekt "Young People Against Online Hate" sollen digitale Technologien genutzt und entwickelt werden, um Counter Speech in sozialen Netzwerken zu erleichtern, zu ermöglichen und zu unterstützen. Soziolog*innen und Informatiker*innen entwickeln dazu gemeinsam mit Jugendlichen computergestützte Strategien, um junge Counter Speaker*innen aufzuspüren und deren Erfolge sichtbarer zu machen. Automatisch generierte, attraktive Counter Speech Vorschläge sollen junge Internetnutzer*innen ermutigen, bei Online Hass aktiv zu werden.

© derknopfdruecker.com
© derknopfdruecker.com
Ulrike Zartler ist Professorin für Familiensoziologie am Institut für Soziologie der Uni Wien. Sie forscht u.a. zu den Themen Kindheits- und Jugendsoziologie sowie Soziale Medien im Kindes- und Jugendalter.
© WWTF
© WWTF
Christiane Atzmüller lehrt und forscht am Institut für Soziologie der Uni Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. quantitative Methoden, Zivilcourage und Jugendgewalt.