Data Mining und Machine Learning

"KI-Entscheidungen sind vorgespurt"

30. April 2024 von Theresa Dirtl
Warum Künstliche Intelligenz gar nicht so intelligent ist, die meisten Daten ungenutzt herum liegen und wie man bei all diesen rasanten Entwicklungen am Ball bleibt, darüber spricht die Datenexpertin Claudia Plant im Interview mit Rudolphina.
Die Datenexpertin Claudia Plant findet KI weder künstlich noch sonderlich intelligent. Im Interview erklärt sie warum und spricht auch über ihre Forschung in den Bereichen Medizin und erneuerbare Energien. © Pexels

Rudolphina: Frau Plant, Sie leiten die Forschungsgruppe Data Mining und Machine Learning an der Universität Wien. Was versteht man eigentlich genau unter Data Mining?

Claudia Plant: Data Mining ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz und es geht darum, Wissen aus sehr großen Datenmengen automatisch zu extrahieren. Heutzutage werden fast in allen Lebensbereichen sehr viele Daten gewonnen, wie zum Beispiel in der Medizin oder Wirtschaft. Tatsächlich ist es so, dass die genutzten Daten davon nur die Spitze des Eisbergs sind, der Großteil der erhobenen Daten liegt einfach ungenutzt herum. Meine Forschungsgruppe beschäftigt sich damit, insbesondere personenbezogene Daten – zum Beispiel im medizinischen Bereich – zugänglich zu machen und zum Wohl der Menschen einzusetzen, um etwa Therapiemöglichkeiten zu verbessern.

Rudolphina: Gerade was die Nutzung personenbezogener Daten durch Firmen angeht, haben viele Menschen Bedenken. Zu Recht?

Claudia Plant: Viele Leute haben Angst davor, dass dass sie sozusagen zum gläsernen Menschen werden. Und diese Angst ist, z.B. was die Internetnutzung betrifft, nicht ganz unberechtigt: Um Apps und Services verwenden zu können, müssen wir zuerst den Nutzungsbedingungen mit allem Kleingedruckten zustimmen und wissen meistens gar nicht genau, worauf wir uns da gerade eingelassen haben. Mit unserer Zustimmung geben wir den Firmen praktisch das Recht, gewisse Algorithmen auf unsere Daten anzuwenden.

Rudolphina: Hat sich diese Datennutzung durch Firmen mit der rasanten Weiterentwicklung von KI verschärft?

Claudia Plant: Auf jeden Fall sind soziale Medien Beschleuniger für die KI-Forschung. Da wir jeden Tag sehr viele Daten erzeugen und online zur Verfügung stellen, ist es für Firmen interessant, diese Daten für ihre Geschäftsziele zu erschließen. Die Datenmengen sind aber so groß, dass eine händische Auswertung oder einfache Statistik dazu nicht mehr ausreichen. Um große Datenmengen für Menschen verständlich und nutzbar zu machen, brauchen wir Algorithmen aus den Bereichen maschinelles Lernen und Data Mining.

Save the Date: Podiumsdiskussion zur Semesterfrage am 17. Juni

Datenexpertin Claudia Plant ist auch zu Gast bei der Abschlussveranstaltung zur Semesterfrage "Wissen wir, was KI wissen wird?", die am Montag, 17. Juni 2024, um 18 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien stattfindet.
Eingangs gibt die Wissenschafts- und Technikforscherin Helga Nowotny (Autorin von "Die KI sei mit euch") einen Impulsvortrag und diskutiert im Anschluss am Podium mit: 

  • Claudia Plant, Professorin für Data Mining und Machine Learning, Uni Wien
  • Nikolaus Forgó, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht, Uni Wien
  • Beatrice Blümel, Rechtsanwältin und Alumna der Uni Wien
  • Markus Tretzmüller, Gründer des Startups Cortecs und Alumnus der Uni Wien
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Rudolphina: Alleine schon der Name Künstliche Intelligenz erzeugt bei vielen Menschen Unbehagen …

Claudia Plant: Ich finde den Begriff Künstliche Intelligenz tatsächlich sehr unpassend, denn das System ist weder künstlich noch ist es sonderlich intelligent. Es ist von Menschen kreiert worden und nicht aus sich selbst heraus entstanden.

KI basiert auf Algorithmen, die Daten erheben – z.B. aus der direkten Umgebung bei selbst fahrenden Autos – und aufgrund dieser Daten Entscheidungen treffen. Aber diese Entscheidungen sind praktisch vorgespurt, denn Menschen haben die Algorithmen erfunden und programmiert. Insgesamt ist eine KI natürlich ein sehr komplexes System, aber die einzelnen Bausteine dazu folgen von Menschen festgelegten Gesetzen. Aktuell haben wir die Herausforderung, dass sich tiefe neuronale Netze zwar aus verständlichen Bausteinen zusammensetzen, aber durch die große Zahl dieser Bausteine insgesamt hochkomplex sind. Wie wir sie wieder verstehen können, erforschen wir zurzeit. Aber ich möchte betonen: KI-Systeme basieren auf Algorithmen. Und die Grundlagen für alle Algorithmen sind verständliche Bausteine aus der Mathematik und Informatik.

Ich finde den Begriff Künstliche Intelligenz unpassend, denn das System ist weder künstlich noch sonderlich intelligent.
Claudia Plant

Rudolphina: Gemeinsam mit Ihrem Team konzentrieren Sie sich auf Anwendungen, die direkt zum Wohl des Menschen eingesetzt werden sollen – welche zum Beispiel?

Claudia Plant: In unserer Forschung erarbeiten wir vor allem Data Mining-Verfahren für die Bereiche Medizin und erneuerbare Energien. In der Medizin können wir zum Beispiel individuell zugeschnittene Therapie-Konzepte für Patient*innen finden. Dafür ist es notwendig, dass sehr viele verschiedene biologische, aber auch medizinische Daten erhoben werden. In Bezug auf erneuerbare Energien versuchen wir beispielsweise vorherzusagen, in welchem Zeithorizont wir wie viel Wind- oder Solarenergie gewinnen können. Dadurch kann etwa die Netzauslastung verbessert werden und es ist dann möglich, den Bedarf der Kund*innen und den Ertrag von erneuerbaren Energien besser aufeinander abzustimmen.

In Zukunft wird KI in vielen Bereichen fast schon menschlich anmutende Entscheidungsgenauigkeit erreichen.
Claudia Plant

KI verspricht schnellere Hilfe bei Depression

Claudia Plant und ihr Team arbeiten daran, frühzeitig festzustellen, ob depressive Patient*innen auf Medikamente ansprechen. Eine Herausforderung besteht darin, dass über 30 Prozent der Betroffenen nicht auf die herkömmlichen Medikamente reagieren. Oft dauert es Wochen oder sogar Monate, bis das passende Medikament durch Ausprobieren gefunden wird. Das Team von Claudia Plant hat nun eine innovative Methode entwickelt: Sie nutzen Algorithmen, um Daten aus den EEGs der Patient*innen zu analysieren. Bereits nach einer Woche können diese Algorithmen vorhersagen, ob das Medikament wirken wird oder nicht. Dadurch wird ein schnellerer Wechsel der Medikation ermöglicht. Claudia Plant erklärt: "Unsere Algorithmen können Hinweise im EEG erkennen, die für Ärzt*innen mit bloßem Auge nicht sichtbar sind."

Rudolphina: Das sind zwei von unglaublich vielen Einsatzmöglichkeiten von KI. Welche Branchen oder Bereiche profitieren Ihrer Meinung nach aktuell am meisten von den Entwicklungen im Bereich von Data Mining und Machine Learning?

Claudia Plant: Im Bereich der Lebenswissenschaften ist das Potenzial enorm, etwa bei der Suche nach neuen Wirkstoffen für Arzneimittel. Durch immer genauere Messinstrumente werden in den Life Sciences riesige Datenmengen produziert, die mit Data Mining durchsucht und aufbereitet werden können.

In der Wirtschaft entstehen natürlich auch sehr viele Geschäftsmodelle, die auf der Verknüpfung des Internets und Künstlicher Intelligenz basieren. Leider sind wir hier in Österreich und generell im deutschsprachigen Raum nicht vorne mit dabei: Die großen Internetkonzerne sitzen in den USA und Asien. Deshalb finde ich es persönlich wichtig, dass wir unsere lokale Startup-Szene fördern, weil wir KI-Geschäftsmodelle mit europäischen Werten entwickeln müssen. Sonst sehe ich die Gefahr, dass sich sehr viele Entwicklungsgelder auf wenige Stakeholder verteilen, nämlich auf die großen Tech-Konzerne.

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Bei dem rasenden Tempo, in dem sich Künstliche Intelligenz weiterentwickelt, sind selbst kurzfristige Prognosen eine Herausforderung. Unsere Forscher*innen sagen: Jetzt geht es nicht darum, noch größer und schneller zu werden, sondern sich die Zeit zu nehmen, KI umfassend zu verstehen.

Rudolphina: Der technologische Fortschritt im Bereich Algorithmen und KI ist rasant. Wie bleiben Sie eigentlich als Forscherin immer am neuesten Stand?

Claudia Plant: Mir ist bewusst, dass ich nur einen kleinen Bereich davon kenne. Daher spezialisiere mich auf gewisse Nischen, in denen ich dann tatsächlich international in der Forschung kompetitiv dabei sein kann. Gleichzeitig habe ich nur beschränkte Ressourcen zur Verfügung: Deshalb konzentriere ich mich auf Themen, die ich mit diesen Ressourcen bearbeiten kann, ohne unbedingt in einem millionenschweren Tech-Konzern tätig zu sein.

Wie kann ich nun dranbleiben? Hauptsächlich durch die jungen Leute in meinem Team, die praktisch von der Front weg diese Dinge entwickeln und programmieren. Dabei gebe ich ihnen Hilfestellung und lerne selbst viel dazu.

Mit Algorithmen verstehen, wie Österreicher*innen Strom verbrauchen

In einem aktuellen Projekt rund um erneuerbare Energien untersuchen Yllka Velaj und Claudia Plant erstmals in Österreich Smart Meter-Daten von ca. 250.000 Haushalten. Smart Meter sind intelligente, elektronische Stromzähler, die den Stromverbrauch alle 15 Minuten messen und an den Netzbetreiber übermitteln. Solche Daten sind weltweit seit 15 Jahren verfügbar, wurden aber bisher nur in kleinen Studien und mit klassischen Methoden untersucht. Ziel des Projekts ist es nun, diese Ansätze zu erweitern, um die tatsächliche Stromnutzung der Österreicher*innen zeitbezogen auszuwerten: Wann gibt es wo Peaks? Wie hängt das beispielsweise mit Tageszeit, Wetter etc. zusammen?

Rudolphina: Sehen Sie ein Problem darin, dass die großen Tech-Konzerne viel mehr Geld investieren können als Wissenschaft und Forschung?

Claudia Plant: Ja, vor allem Forschung mit tiefen neuronalen Netzen ist sehr daten- und rechenintensiv. Universitäten haben im Vergleich zu den großen Tech-Konzernen nur begrenzte Kapazitäten an GPU-Clustern – das sind Rechner, die mit Graphikkarten ausgestattet sind und parallel sehr viele Berechnungen machen können. Auch stellen die Tech-Konzerne ihre Algorithmen und Daten nicht immer öffentlich zur Verfügung, weil das ja Teil ihres Geschäftsgeheimnisses ist. Es ist immer bedenklich, wenn Forschung nicht offen ist. Je mehr Menschen sich an KI-Forschung aktiv beteiligen können, umso besser ist sichergestellt, dass Fortschritte zum Wohle aller entstehen. Die KI-Forschung braucht mehr Diversität. Es ist wichtig, dass Menschen verschiedener kultureller und sozialer Hintergründe und geschlechtlicher Identitäten gemeinsam KI-Algorithmen entwickeln.

Die großen Internetkonzerne sitzen in den USA und Asien. Deshalb ist es wichtig, die lokale Start-up Szene zu fördern, um KI-Geschäftsmodelle mit europäischen Werten zu entwickeln.
Claudia Plant

Rudolphina: Haben Sie Tipps für Interessierte und Studierende, damit diese beim Thema KI am Ball bleiben?

Claudia Plant: Unsere Universität ist ja sehr aufgeschlossen gegenüber den IT-Themen. Das zeigt auch die aktuelle Semesterfrage wieder, was ich sehr schön finde, und die sich auch an ein breites Publikum richtet. Es gibt viele Vorlesungen zum Thema, wir haben zum Beispiel letztes Semester die Ringvorlesung "Machines that understand" angeboten, heuer veranstaltet das Institut für Zeitgeschichte eine öffentliche Ringvorlesung zu Herausforderungen und Chancen von Künstlicher Intelligenz. Ringvorlesungen richten sich an Studierende aller Fachrichtungen, um ein Grundverständnis zu entwickeln und dieses dann auch in gesellschaftlichen Diskussionen anwenden zu können.

Ich finde, dass jeder und jede Studierende zumindest wissen sollte, was Künstliche Intelligenz ist, was Algorithmen sind und nach welchen Gesetzmäßigkeiten sie arbeiten. Natürlich würde ich mich dann über die eine oder andere Person freuen, die mehr Interesse entwickelt und vielleicht sogar den Weg in die Informatik findet.

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Rudolphina: Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch gerne unsere aktuelle Semesterfrage stellen: Wissen wir, was KI wissen wird?

Claudia Plant: Ich sage ja. Wir können das wissen, obwohl es schwierig sein wird, weil die Gesamtheit des Felds unglaublich breit ist. Aber es geht um Algorithmen, und Algorithmen können wir verstehen. In Zukunft werden natürlich noch viele Entwicklungszyklen kommen und es wird in vielen Bereichen möglich sein, fast schon menschlich anmutende Entscheidungsgenauigkeit zu erreichen. Dabei muss man immer vorsichtig sein und KI behutsam zum Wohl des Menschen einsetzen.

Rudolphina: Vielen Dank für das Gespräch!

© Barbara Mair
© Barbara Mair
Claudia Plant ist Professorin für Data Mining und Leiterin der Forschungsgruppe Data Mining und Machine Learning an der Fakultät für Informatik. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u.a. parameterfreies Data Mining auf informationstheoretischer Basis, integratives Data Mining von heterogenen Datenbeständen und anwendungsorientiertes Data Mining in der Biomedizin, in den Neurowissenschaften und den Umweltwissenschaften.