Interview mit Klimaforscher Stefan Rahmstorf

Die Klimadebatte zwischen Wissenschaft und Lobbyismus

15. März 2024 von Nora Gau, Siegrun Herzog und Sebastian Deiber
Stefan Rahmstorf ist einer der bekanntesten Klima- und Meeresforscher. Am 8. März war er als Redner zu Gast an der Uni Wien beim festlichen Auftakt des Forschungsverbundes "Umwelt und Klima". Am Rande der Veranstaltung sprach er mit uns über Kipppunkte im Ozean, die Rolle der Medien und wo er die Wissenschaft in der Pflicht sieht.

Redaktion: Herr Rahmstorf, Sie sind einer der renommiertesten Klimatologen, zählen mit ihrer Forschung weltweit zu den führenden Ozeanographen und Paläoklimatologen. Sie haben erst Physik studiert, dann physikalische Ozeanographie. Wann hat die Begeisterung für Ihr Forschungsthema eigentlich begonnen?

Stefan Rahmstorf: Tatsächlich schon sehr früh: Ich bin in Holland aufgewachsen und die Nordsee hat in mir die Begeisterung für das Meer geweckt. Als ich dann später Physik studiert habe ging mir auf, dass man damit auch Meeresforschung betreiben kann. Es war sogar ein konkretes Buch, das mich fasziniert und darauf gebracht hat: „The Drama of the Oceans“ von der Seerechtsexpertin und Ökologin Elisabeth Mann Borgese aus dem Jahr 1975. Beim Lesen dachte ich, wow, das ist eigentlich ein tolles Forschungsthema und habe dann begonnen, physikalische Ozeanographie an der University of Wales in Bangor zu studieren. 

Redaktion: Als Paläoklimaforscher untersuchen Sie das Klima der erdgeschichtlichen Vergangenheit, um Aussagen über die Zukunft der Klimaentwicklung auf unserer Erde zu treffen. Was können wir denn von der Eiszeit lernen?

Stefan Rahmstorf: Die wichtigste Lehre, die wir aus den letzten Jahrmillionen für unsere Zukunft ziehen können, ist die sogenannte Klimasensitivität, also die Reaktion auf bekannte Störungen in der Strahlungsbilanz unserer Erde. Die Klimasensitivität gibt an, wie stark die globale Temperatur auf Veränderungen reagiert, beispielsweise wie viel Erwärmung aus einer CO2 Verdopplung folgt. Die Antwort lautet: um die drei Grad. Dass das Klima auch in der Vergangenheit immer heftig auf Störungen der Strahlungsbilanz reagiert hat, das ist eine Lehre aus der Eiszeit. Eine andere ist die Instabilität der Ozeanzirkulation. Das ist der Hintergrund für die Sorge, dass die Atlantikzirkulation abreißen könnte, weil das in der Erdgeschichte mehrfach passiert ist, zum Beispiel bei der Erwärmung nach der letzten Eiszeit.
 

Sujet des Forschungsverbunds Umwelt und Klima eine Illustration einer Hand, die einen von Vögeln umgebenen Baum hält

Forschungsverbund Umwelt und Klima

Der Forschungsverbund Umwelt und Klima an der Universität Wien ist ein interdisziplinäres Netzwerk von Forscher*innen, die sich mit den Themen Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit beschäftigen. Er wird geleitet von Thilo Hofmann und Sabine Pahl.

Hier geht´s zum Nachbericht & Video der Auftaktveranstaltung vom 8. März 2024. 

Redaktion: Damit sprechen Sie ein aktuell vieldiskutiertes Thema an: Der mögliche Zusammenbruch der Atlantischen Umwälzströmung (AMOC), die für die relativ milden Temperaturen in Europa von großer Bedeutung ist. Sie als Ozeanograph forschen dazu schon länger: Ist dieser Zusammenbruch noch aufzuhalten? Wann wären denn die Auswirkungen für die Welt spürbar?   

Stefan Rahmstorf: Wir sprechen bei den Folgen ja davon, was passiert, wenn der Kipppunkt überschritten ist. Wir wissen aber noch nicht, wann und ob der Punkt durch die Erderwärmung überhaupt erreicht wird. Was aber klar ist, ab diesem Punkt liefe die Dynamik dann innerhalb von Jahrzehnten ab. 
Wir könnten dieses Risiko jedoch minimieren, wenn wir konsequent das Pariser Abkommen einhalten und mit der Erwärmung möglichst deutlich unter zwei Grad bleiben.

Lesen Sie auch
Kipppunkte in Mathematik, Ökologie und Geografie
In allen komplexen Systemen gibt es kritische Grenzwerte, deren Überschreiten gravierende, oft unumkehrbare Folgen hat. Das Verständnis dieser "Kipppunkte" ist essentiell, um die Beziehung "Planet und Mensch" retten zu können. Wir fragen die Mathematiker*innen Sara Merino-Aceituno und Henk Bruin, die Ökologin Christina Kaiser und den Geografen Harald Sterly.

Redaktion: Und was passiert, wenn wir den Kipppunkt überschreiten und AMOC zusammenbricht?

Stefan Rahmstorf:  Dann wären die Auswirkungen tatsächlich fatal: Dann käme es zu einer starken regionalen Abkühlung, nicht nur über dem Ozean, sondern auch über Landgebieten in Nordwesteuropa. Die neue Studie der Universität Utrecht, die gerade durch die Medien ging, hat festgestellt, dass es dann an der Küste Norwegens im Winter 20 bis 30 Grad kälter werden könnte. 
Aber das ist bei weitem nicht die einzige Folge. Die tropischen Niederschlagsgürtel würden sich nach Süden verschieben. Dann passen diese Niederschlagsgürtel nicht mehr über die Regenwälder, wo sie eigentlich hingehören. Teile der Wälder würden dann vertrocknen oder abbrennen, während es anderswo Starkregen gibt, wo man daran nicht angepasst ist.
Problematisch ist auch, dass sich die Sauerstoff- und CO2-Aufnahme des Ozeans deutlich reduzieren würde, wenn die AMOC versiegt. Denn sie wird ja angetrieben durch Wasser, das bis in 3000 Meter Tiefe absinkt. Wenn das aufhört, bekommt die Tiefsee kaum noch Sauerstoff. Das würde das Ökosystem des Meeres durcheinanderbringen – mit Folgen, die wir jetzt so noch gar nicht absehen können. 
 

Redaktion: In Ihrem Vortrag sagten Sie, dass sich alle seriösen Wissenschafter*innen einig sind, dass die moderne Erderwärmung zu 100 Prozent menschengemacht ist. Laut Umfragen glauben aber viele Menschen, dass dies in der Wissenschaft viel umstrittener sei. Woran liegt das?   

Stefan Rahmstorf: Zum einen liegt das an der Lobbyarbeit der fossilen Energiefirmen und einiger Multimilliardäre, die die so genannten Klimaskeptiker*innen, deren Auftritte und Publikationen finanzieren. Rupert Murdoch beispielsweise pusht mit seinem Medienimperium (Murdoch besitzt über seine Firma "News Corp" zahlreiche Medien, u.a. "Fox News", "Sun", sowie das "Wallstreet-Journal", Anm.) Aussagen von Klimaskeptiker*innen, mit denen gezielt Zweifel geweckt werden sollen. Darüber hinaus sehe ich aber auch bei anderen, um Ausgewogenheit bemühten Medien, ein Problem: Sie holen sich immer wieder Skeptiker in Talkshows, obwohl diese keine wissenschaftliche Expertise haben und tun dann so, als sei das eine wissenschaftliche Fachdebatte. Das ist für die Öffentlichkeit eine verfälschende und verwirrende Praxis. 
 

Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Begriffslexikon: Golfstrom, AMOC und das "globale Förderband"

Im Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow" aus dem Jahr 2004 bricht der Golfstrom zusammen, was eine Eiszeit auslöst. Entgegen der verbreiteten Vorstellung kann der Golfstrom jedoch nicht zusammenbrechen. Denn wenn es um die Strömungssysteme im Atlantischen Ozean geht, kommt es häufig zu Verknappungen und Verwechslungen. Hier die drei wichtigsten Begriffe im Überblick:

Der Golfstrom verdankt seinen Namen dem Golf von Mexiko, wo die aus Richtung Äquator zugelieferten Wassermassen gegen die nordamerikanische Küste drücken. Er fließt von dort nach Norden und Nordosten, ein Teil passiert dabei die Britischen Inseln und Nordeuropa.
Der Golfstrom wird durch die globalen Windsysteme und die Erdrotation angetrieben. Solange sich die Erde dreht, wird der Golfstrom nicht zum Erliegen kommen.

Der Golfstrom speist einen Teil des größten Strömungssystems im Ozean, der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC). In den oberen Schichten fließt warmes, salzhaltiges Wasser vom Süd- in den Nordatlantik. Dort kühlt es ab und sinkt wie ein gigantischer Wasserfall in 2-3 km Tiefe ab. Dann kommt es als Tiefenstrom zurück nach Süden. Bei dem Prozess wird Wärmeenergie an die Luft abgegeben, was das Klima in Nordeuropa beeinflusst. Der Antrieb für die Umwälzpumpe sind Temperatur- und Salzkonzentrationsunterschiede im Ozean. Wenn warmes Oberflächenwasser (rot in der obigen Abbildung) verdunstet, steigt sein Salzgehalt und somit seine Dichte. Dichtes Wasser (blau) sinkt nach unten und kühlt in der Tiefe ab. AMOC gehört zur sogenannten "Thermohalinen Zirkulation" (nach gr. thermós "warm" und halshalos = "Salz"). Diese umspannt die Weltmeere wie ein "globales Förderband" in einem Kreislauf.

Wenn durch den Klimawandel das grönländische Eis abtaut, wird viel Süßwasser in AMOC eingetragen. Dies könnte das Absinken von Wasser im Nordatlantik verhindern, wodurch AMOC zum Erliegen kommen könnte. Neue Klimamodellsimulationen bestätigen diese Möglichkeit.

Wissenschafter*innen werden von der Allgemeinheit bezahlt und sollten daher auch im Interesse des Allgemeinwohls agieren. Aufzuklären und zu warnen ist also unsere Pflicht.
Stefan Rahmstorf

Redaktion: Ist es Ihrer Meinung nach auch die Aufgabe von Wissenschafter*innen, sich Gehör in der Politik zu verschaffen?

Stefan Rahmstorf: Es ist auf jeden Fall ihre Aufgabe, vor Gefahren zu warnen. Ich erwarte ja auch von einem Arzt, dass er mir sagt „Wenn du weiter rauchst, dann steigt dein Lungenkrebs-Risiko“. Und wir Wissenschafter*innen müssen es genauso kommunizieren: Die Erkenntnisse sind da, wenn wir weiter CO2 emittieren, wird es wärmer werden, das führt zum Meeresspiegelanstieg, zu Extremwetterereignissen mit all ihren Folgen. Wissenschafter*innen werden von der Allgemeinheit bezahlt und sollten daher auch im Interesse des Allgemeinwohls agieren. Aufzuklären und zu warnen ist also unsere Pflicht.

Redaktion: Auch Sie gehen mit Ihren Forschungserkenntnissen stark an die Öffentlichkeit. Warum ist Ihnen der Austausch so wichtig?  

Stefan Rahmstorf: Einerseits habe ich schon als Schüler und als Student sehr profitiert von populärwissenschaftlichen Darstellungen, in Büchern oder Zeitschriften. Da hat mich damals die Begeisterung für Wissenschaft einfach gepackt. Und diese Begeisterung für Wissenschaft und das Forschen will ich weitergeben. Aber hinzu kommt natürlich auch, dass ich die Menschen über Gefahren aufklären und vor ihren Folgen warnen möchte. 
 

Redaktion: Um die Brücke zu unserer aktuellen Semesterfrage zum Thema KI und Wissen zu schlagen: Welches Potenzial sehen Sie durch den Einsatz von KI in der Klimaforschung?

Stefan Rahmstorf: Klimaforschung nützt natürlich solche Verfahren. Studien zeigen etwa wie man KI trainieren kann – anhand sehr guter, hoch aufgelöster Klimamodelle, die aber sehr teuer sind, was die erforderliche Computerzeit angeht. Man kann damit dann Klimamodelle schneller und sparsamer machen, indem ein gröberes Modell diese KI beispielsweise nutzt, um höher aufgelöste Niederschlagsmuster zu erzeugen. 

Redaktion: Werden Prognosen durch KI genauer? 

Stefan Rahmstorf: Ja, das ist natürlich die Hoffnung. Klimamodelle erzeugen gigantische Datenmengen, diese mithilfe von KI zu durchforsten und Muster zu erkennen, das ist im Moment ein heißes, relativ neues Thema. Als Wissenschafter interessieren uns aber auch die physikalischen Mechanismen, die hinter den entdeckten Mustern stecken. Wir dürfen die KI nicht als Blackbox hinnehmen, denn KI kann auch Fehler machen. Man sollte sich nicht blindlings auf sie verlassen. 

Redaktion: Welche Auswirkungen hat KI auf unser Klima? Stichwort Ressourcenverbrauch – welchen Fußabdruck hinterlassen Daten, hinterlässt KI? Und was sind die Folgen?

Stefan Rahmstorf: Ich kenne hier keine konkreten Zahlen, aber man muss sagen, dass schon herkömmliche Computersimulationen, die wir auf Hochleistungsrechnern betreiben, eine Menge Strom benötigen. Umso wichtiger wird es, solche Berechnungen zunehmend mit erneuerbarem Strom zu betreiben. Hier sind wir ja auch auf einem guten Weg in Deutschland – zumindest bewegen wir uns in die richtige Richtung. Dennoch ist es natürlich auch in der Forschung wichtig, auf Sparsamkeit und Effizienz zu achten, was den Energieverbrauch angeht.
 

Lesen Sie die Langfassung dieses Interviews auf der Website des Forschungsverbunds Umwelt und Klima.

© Astrid Eckert
© Astrid Eckert
Stefan Rahmstorf forscht seit über 30 Jahren zum Klimawandel und seinen Folgen. Der Klima- und Meeresforscher leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 hält er die Professur im Fach „Physik der Ozeane“.

Zu Rahmstorfs Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme. Das Thema der globalen Erwärmung behandelt Rahmstorf oft in öffentlichen Vorträgen als Keynote-Speaker oder im RealClimate-Blog, den er mitgegründet hat.