Umweltwissenschaften

PFAS: Chemikalien für die Ewigkeit?

24. Jänner 2024 von Hanna Möller
Ewig haltbar, täglich im Einsatz und oftmals hochgiftig: PFAS, eine Gruppe extrem stabiler Industriechemikalien, werden als das nächste große Umweltproblem unserer Zeit gehandelt. Wir fragen Umweltwissenschafter Thilo Hofmann: Gibt es noch Hoffnung?

PFAS (kurz für Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) zählen zu den Alleskönnern. Das in den 1940er Jahren im Chemielabor entwickelte Wundermaterial lief allen anderen Substanzen den Rang ab. Keine natürlich vorkommende Verbindung war jemals so stabil wie diese neue, aus Fluor und Kohlenstoff zusammensetzte Substanz.

Mit ihren sowohl fett- als auch wasserabweisenden Eigenschaften brachte die perfluorierte Kohlenstoffkette alles mit, um unseren Alltag einfacher zu gestalten: Durch die Beisetzung von PFAS bleibt die Regenjacke dauerhaft wasserabweisend, der Eyeliner auch für lange Nächte haltbar und das Mikrowellen-Popcorn durch die PFAS-beschichtete Verpackung so richtig crunchy, erklärt Umweltwissenschafter Thilo Hofmann.

Vom Wundermaterial zum Krankmacher

Doch bald häuften sich Autoimmunerkrankungen, die Fälle von Nierenkrebs in Verbindung mit PFAS stiegen dramatisch an, Impfungen wirkten nicht mehr so, wie sie sollten. Was die Industriekonzerne lange abstritten, wissen wir heute besser: Das Wundermaterial schadet unserer Gesundheit. Die EU hat die Stoffgruppe auf ihrer Roten Liste und plant – bei verzichtbaren Anwendungen – ein Verbot bis 2025. Und noch weiter: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat die Grenzwerte für die tolerierbare wöchentliche Aufnahme von PFAS drastisch reduziert, auf nur 4,4 Nanogramm pro kg Körpergewicht pro Woche (vgl. Umweltbundesamt).

PFAS-Report 2022 des Umweltbundesamts

Bei einer Studie vom österreichischen Umweltbundesamt in Zusammenarbeit mit dem Department für Lebensmittelchemie und Toxikologie der Universität Wien wurden bei  allen teilnehmenden Kindern grenzwertüberschreitende PFAS-Werte im Urin nachgewiesen (zum PFAS Report des Umweltbundesamtes). Thilo Hofmann wundert das nicht: "Wir nehmen PFAS über unsere Ernährung, Kosmetika oder Medikamente und Hausstaub auf." Die PFAS-Konzentration im Harn war bei älteren Kindern statistisch signifikant höher, es wurden keine Unterschiede hinsichtlich PFAS-Konzentrationen zwischen Buben und Mädchen und zwischen den einzelnen Regionen festgestellt (Umweltbundesamt, 2021).     

PFAS stören die Ruhr

Doch 4,4 Nanogramm und mehr finden wir bereits regelmäßig in Proben aus Flüssen und Niederschlag – die oftmals Grundlage für unsere Trinkwasserversorgung sind, gibt Hofmann zu bedenken, der für seine Doktorarbeit im Ruhrgebiet forschte. Zu seinen Studienzeiten in den 1990ern versorgte die Ruhr, wie bereits seit hunderten Jahren zuvor, das gesamte Gebiet mit Trinkwasser. Das Oberflächenwasser wurde in einem einfachen Verfahren mit Sand filtriert und getrunken – "das ist heute vorbei." Mittlerweile sind große Aktiv-Kohle-Anlagen nötig, um zumindest einige der PFAS aus dem Trinkwasser der Ruhr-Region fernzuhalten. 

Sujet des Forschungsverbunds Umwelt und Klima eine Illustration einer Hand, die einen von Vögeln umgebenen Baum hält

Forschungsverbund Umwelt und Klima: Kick-off am 8. März

Thilo Hofmann leitet gemeinsam mit Sabine Pahl den neuen Forschungsverbund Umwelt und Klima an der Universität Wien, ein interdisziplinäres Netzwerk von Forscher*innen, die sich mit den Themen Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit beschäftigen. Seinen Start feiert der Forschungsverbund am 8. März 2024 um 16 Uhr mit einer Auftaktveranstaltung im Großen Festsaal

PFAS: Forever Chemicals

Durch Klärschlamm aus Biogasanlagen – der mit Resten aus der Papierindustrie angereichert wird, die wiederum mit PFAS beschichtet sind – wurden die Böden im Ruhrgebiet verunreinigt, und zwar dauerhaft. Einmal in der Umwelt, ist es nämlich gar nicht so einfach, die stabile Verbindung aufzubrechen. Dieser Umstand hat PFAS den Beinamen "forever chemicals" beschert. Beispiele für PFAS-kontaminierte Gebiete gibt es auch in Österreich, etwa rund um den Salzburger Flughafen oder in den steirischen Orten Leibnitz und Lebring. In diesen Fällen ist nicht Klärschlamm, sondern Feuerlöschschaum für die Kontamination in Grundwasser und Böden verantwortlich. Vermutlich werden sich noch wesentlich mehr Standorte in Zukunft finden.

Foto einer Frau im Geschäft, in der rechten Hand ein kosmetisches Produkt, in der linken ein Handy

PFAS im Alltag vermeiden

"PFAS sind überall, daher ist es schwer, sich vor ihnen zu schützen", erklärt Hofmann: "Wir können aber versuchen, eine starke Exposition zu vermeiden." Dafür hat der Experte einige Tipps parat:

  • Unbeschichtete Küchenutensilien verwenden; in der Küche auf Glas, Metall oder Keramik setzen
  • Bei Outdoorkleidern auf den Hinweis "frei von PFAS" achten
  • Imprägnierspray für z.B. Schuhe nur im Außenbereich oder mit Schutzmaske verwenden
  • Beim Kauf von Kosmetikprodukten Apps verwenden, welche die Inhaltsstoffe u.a. auf PFAS überprüfen ("fluoro" deutet häufig auf PFAS hin)
  • Möbel und Teppiche frei von PFAS kaufen. (Foto: © iStock)

Schadensfälle sanieren?

Es kann je nach Situation nahezu unmöglich sein, einen durch PFAS verursachten Schadensfall zu sanieren. "Die kontaminierten Flächen sind oft sehr groß. Dazu kommt die Bebauung an der Oberfläche, die den Zugang erschwert", erklärt Hofmann. Er sucht daher nach Möglichkeiten, PFAS-Rückstände in Böden und Grundwasser in-situ zurückzuhalten und im Idealfall abzubauen.  

Dafür hat er im Rahmen eines Forschungskonsortiums gemeinsam mit TU Wien und AIT ein millionenschweres Projekt eingeworben, in dem Wissenschaft und Partner aus der Wirtschaft eng zusammenarbeiten. Mithilfe von hochauflösender Massenspektrometrie werden die Substanzen und deren Abbauprodukte detektiert. Im Labor wird versucht, die vielfältigen Bedingungen in der Natur nachzustellen und verschiedene Ansätze zu testen. Große Hoffnungen setzen die Wissenschafter*innen auf den Einsatz moderner Nanotechnologie: eine Kombination aus grüner Pflanzenkohle und nullwertigem Nano-Eisen. Die zwei Industriepartner im Projekt sollen diese dann in Zementsäulen einbauen oder mittels einer Lanze in tiefe Erdschichten bringen – "ob es klappt, wissen wir noch nicht, aber es ist eine Spur." 

In Teamarbeit PFAS erforschen

In einem gemeinsamen Projekt von Uni Wien, TU Wien und AIT (Austrian Institute of Technology) unter der Leitung von Thomas Reichenauer rücken Thilo Hofmann & Co. den PFAS aus verschiedenen Forschungsperspektiven zu Leibe. Analytik und Muster der Stoffgruppe, Fingerprints und Vorkommen der PFAS sowie Sanierungsmöglichkeiten werden bearbeitet. Das Projekt startete am 1. Jänner 2024 und wird vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) durch die Kommunal-Kredit Public Consulting (KPC) mit 2.24 Mio. Euro gefördert. Mehr über das Projekt.

Umdenken in der Chemikalienbewertung

Vor 30 Jahren wurden eine andere Verbindung, Polychlorierte Biphenylen (PCB), die u.a. im Transformatoren- oder Fensterbau genutzt wurden, als krebserregend eingestuft und verboten. Noch heute steigen in vielen Ländern die Konzentrationen von PCB im maritimen System weiter an, so Hofmann: 80 Prozent befinden sich nach wie vor in der Umwelt. PCBs haben nur eine geringe akute Toxizität, jedoch eine hohe chronische Toxizität; und dies bereits bei sehr geringen Konzentrationen. Wiederholt sich die Geschichte bei den PFAS – der bisher langlebigsten Stoffgruppe, die jemals vom Menschen entwickelt und in die Umwelt eingebracht wurde?

Angesichts dieser dramatischen, wiederkehrenden Vorfälle spricht sich Hofmann für ein Umdenken in der Chemikalienbewertung und Materialentwicklung aus. "Neue Verbindungen werden in der Regel hinsichtlich ihrer akuten Toxizität eingestuft – nicht in Bezug auf ihre Langlebigkeit. Doch die Folgen durch chronische, langfristige Dosen in geringfügigen Konzentrationen können wir nur sehr schwer, oft erst Jahrzehnte später abschätzen. Wir müssen daher bei allen Verbindungen, die in die Umwelt gelangen, darauf achten, dass diese keine 'Ewigkeitschemikalien' sind; also ein vollständiger Abbau ohne giftige Abbauprodukte stattfindet." Schaden eindämmen ist gut. Schaden gar nicht erst verursachen, ist besser. (hm) 

Forschung für den Umweltschutz

Die Forscher*innen vom Department für Umweltgeowissenschaften unter der Leitung von Thilo Hofmann haben sich in einem weiteren Projekt dem Umweltschutz verschrieben: Gemeinsam mit BASF möchten sie das Verhalten von biologisch abbaubaren Kunststoffen in Kompost besser verstehen. "Die Zusammenarbeit ermöglicht es uns, wichtige Fortschritte bei umweltfreundlichen Kunststoffen zu erzielen. Wir wollen mit innovativen Methoden herausfinden, unter welchen Bedingungen und in welchem Zeitrahmen der vollständige Abbau von Kunststoffen im Kompost gewährleistet ist und wie dieser Prozess überprüft werden kann", erklärt Thilo Hofmann. Mehr zur neuen Forschungskooperation

© Universität Wien
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Thilo Hofmann ist seit 2019 stellvertretender Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft an der Universität Wien. Zu seinen Forschungsinteressen zählt u.a. das Verhalten von Umweltschadstoffen.

Er leitet zusammen mit Sabine Pahl den neuen Forschungsverbund "Umwelt und Klima", dem 65 Wissenschafter*innen aller Fachrichtungen angehören. Er leitet außerdem die Forschungsplattform PLENTY, in dessen Rahmen Plastikverschmutzung in einem holistischen, interdisziplinären Ansatz untersucht wird.