Astrophysik

Materialien "outta space"

12. Jänner 2024 von Hanna Möller
Treffpunkt Sternwarte: Wir besuchen Astrophysiker Franz Kerschbaum und sprechen mit ihm über Materialien aus dem Universum und für das Universum. Mit seiner Gruppe entwickelt er smarte Computersysteme, die bei vielen Weltraumteleskopen mit an Bord sind.
Mondgestein setzt sich aus Feldspat, Olivin und Basalt zusammen – und könnte uns künftig als Baustein für Mondhabitate nützlich werden. Im Bild: Gesteinsproben von den Missionen Apollo 15 und 17, zu sehen im Naturhistorischen Museum Wien. © NHM, Ludovic Ferriere

"Vorsicht, das ist zerbrechlich!", warnt Franz Kerschbaum und reicht uns ein fein grau gesprenkeltes Gesteinsblättchen herüber: Mondgestein. Bisher haben nur wenige Mondmissionen Probenmaterial direkt zur Erde zurückgebracht und trotzdem sitzen wir heute hier, am Institut für Astrophysik der Uni Wien und halten ein Stück des Mondes in unseren Händen. Es stammt aus einem Meteoriteneinschlag und besteht aus zusammengebackenem Feldspat, Olivin, Basalt und ähnlichem – "die Materialien sind für sich genommen großteils nichts Besonderes", kommentiert der Astrophysiker, "aber das Verhältnis ist sehr charakteristisch, typisch Mond eben."

Geschichtsbücher für das Sonnensystem

Das nächste spezielle Weltraumsouvenir, das wir heute in Händen halten dürfen, ist schwerer als es ausschaut, ein Nickel-Eisen Meteorit aus der Kernregion eines Asteroiden oder gar frühen Planetenbausteins. "Die Meteoriten, die auf der Erde niedergehen, bestehen aus Materialien, die sich teilweise seit Milliarden von Jahren nicht verändert haben. Sie können sogar winzige Staubkörner von fernen Sternen enthalten", erklärt Franz Kerschbaum, der gemeinsam mit seinem Team astronomische Instrumente zur Weltraumerkundung entwickelt: "Für uns Forscher*innen sind diese himmlischen Gesteine wie Geschichtsbücher, die über die ferne Materialvergangenheit des Sonnensystems und darüber hinaus Aufschluss geben."

Die Erde hat im Vergleich zu den Meteoriten eine "bewegte Vergangenheit" und gibt in Dingen Materialvergangenheit nur bedingt Aufschluss: Durch Vulkanausbrüche, tektonische Verschiebungen und Erosionsprozesse hat sich das Relief des blauen Planeten im Laufe der Zeit gewandelt und das ursprüngliche Material wird mittlerweile von vielen jüngeren Schichten überlagert oder wurde mehrfach modifiziert.

Der Hype um Helium-3 

Ein kosmisches Material, das nicht vom Himmel fällt, in Zukunft aber interessant sein könnte, ist Helium-3. Das stabile Isotop wird als vielversprechende Zutat für die saubere Energiegewinnung gehandelt, Stichwort: Kernfusion. Bei der Kernfusion wird viel Energie freigesetzt, ohne dabei die Umgebung stark zu verstrahlen. Entdeckt wurde Helium im Lichtspektrum der Sonne (darum auch der Name: hélios bedeutet auf Altgriechisch Sonne), dort gibt es das gehypte Element zu Genüge. Auf der Erde kommt das Isotop Helium-3 nur extrem selten vor. Deshalb wird nun sogar schon überlegt, Helium-3 quer durch den Weltraum zur Erde zu transportieren oder es direkt dort vor Ort zu verwenden.

Transporte zwischen Planeten oder Monden sind zwar prinzipiell möglich, aber jedes Kilogramm Gepäck in der Raumkapsel sei mit enormen Kosten verbunden, erklärt uns der Astrophysiker. Bei dem Leichtgewicht Helium-3 könnte die Vision aber durchaus irgendwann einmal real werden. Mittelfristig sind Träume und Fantasien vom "asteroid mining" – dem Gewinnen von Rohstoffen auf anderen Planeten – allerdings eher mit Vorsicht zu genießen, lenkt Kerschbaum ein. Materialien z.B. am Mond werden sicher in absehbarer Zeit abgebaut werden, aber nicht, um sie auf der Erde zu nutzen, sondern lokal zu verwenden bzw. zu verbauen. 

Layover auf dem Mond

Aber wenn wir schon bei Zukunftsvisionen sind: Wer beispielsweise den Mond besuchen möchte, benötigt besonderen Schutz. Zum einen vor dem Vakuum und der kosmischen Strahlung, die radioaktiver Strahlung ähnelt, zum anderen vor den extremen Temperaturunterschieden. Spezielle Habitate auf dem Mond könnten aber die schützende Erdatmosphäre nachahmen und so den Himmelskörper bewohnbar machen. Dafür genüge eigentlich eine Kuppel, die mit Regolith – das ist zermahlenes und zerbrochenes Mondgestein – überdeckt wird, erklärt Kerschbaum. Mittlerweile gibt es sogar Experimente, um Baumaterial dafür aus Regolith 3D zu drucken (hier berichtet die NASA). 

Habitate auf dem Mond wären auch als eine Art Base Camp interessant, um von dort aus andere Planeten anzusteuern bzw. nötige Verfahren zu erproben. "Die NASA plant bereits einen solchen 'lunary hub' auf dem bzw. im Orbit um den Mond (mehr zur NASA Mission). Da dort die Schwerkraft geringer ist, wären Weltraumexpeditionen vom Mond aus einfacher und kostengünstiger."

Astronaut auf der Mondoberfläche bei der Apollo 15-Mission 1971.
Bisher waren zwölf Menschen im Rahmen der "Apollo"-Missionen zwischen 1969 und 1972 auf dem Mond (im Bild: Moonwalk im Rahmen der Apollo 15-Mission 1971). Seitdem sind zwar viele unbemannte Sonden zum Mond geflogen, haben ihn umkreist, vermessen, kartographiert, seit 1972 (Apollo 17-Mission) hat ihn aber niemand mehr betreten. Die von der NASA für November 2024 geplante "Artemis2"-Mission, an der u.a. auch die Europäische Raumfahrtagentur ESA beteiligt ist, wurde aktuell wegen Problemen mit Rakete und Raumschiff auf 2025, die geplante bemannte Mondlandung "Artemis 3" entsprechend auf 2026 verschoben. © NASA

Uni Wien im Universum

Um den rauen Bedingungen im Weltraum zu trotzen, müssen Materialien und technische Systeme für Weltraummissionen besonders ausgetüftelt sein. Kerschbaum weiß das genau, seit Jahren entwickelt er mit seiner Forschungsgruppe intelligente Steuersysteme, die an Bord von Weltraumteleskopen einen scharfen Blick ins Universum eröffnen. "Meine Kolleg*innen und ich müssen Probleme lösen, die auf der Erde oft kein Thema sind", so der Astrophysiker. Computer, die ins Universum fliegen, müssen beispielsweise extrem verlässlich und leicht sein, mit wenig Energie auskommen und eine Kühlung haben, die auch im Vakuum funktioniert. 

Auf vielen großen Weltraummissionen waren die Systeme "made at University of Vienna" bereits mit an Bord. Für CHEOPS entwickelten Kerschbaum und Co. Flugsoftware und Simulatoren, die eine genaue Positionsbestimmung und Erkennung der Beobachtungsziele möglich machen. Für Herschel, eines der größten Weltraumteleskope, das je gestartet wurde, programmierten die Astrophysiker*innen der Universität Wien komplexe Algorithmen, welche die Daten noch an Bord drastisch reduzieren und ohne Informationsverlust zur Erde schicken. 

Ideentransfer zwischen Universum und Erde

Entwicklungen für den Weltraum bleiben aber nicht im Weltraum. Aus den Materialien, die Satelliten thermal isolieren, ging zum Beispiel die Polymerfolie hervor, die heute in der Computertomographie, aber auch für Brandschutzfolien zum Einsatz kommt. Der aktuelle Trend: Formgedächtnis-Legierungen (FGL). Sie können gedehnt und verformt werden, erinnern sich aber an ihre ursprüngliche Form.

FGL-Werkstoffe entstanden – wie viele der Weltraummaterialien – zunächst im militärischen Kontext und wurden in der Weltraumforschung weiterentwickelt; die smarten Materialien kommen aber mittlerweile in vielen Bereichen zum Einsatz. Beispielsweise können sie die Heilung von Knochenbrüchen beschleunigen oder als Stent die Arterien erweitern.

Welches Weltraum-Material wohl als nächstes auch auf der Erde "einschlagen" wird, fragen wir den Astrophysiker – "das steht noch in den Sternen", lacht er. (hm)

© privat
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Franz Kerschbaum ist Vizedekan der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie. Zu seinen Schwerpunkten zählt die astronomische Instrumentenentwicklung mit Schwerpunkt Weltraumexperimente. Neben seiner Forschungstätigkeit steht er der Europäischen Weltraumagentur ESA, der Europäischen Kommission und noch vielen anderen internationalen Organisationen zur Seite.